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Überwiegend heiter bis wolkig |
21
März
Nachkriegskind.
Jahrgang 1972 und doch Nachkriegsgeneration - unter den letzten Nachzüglern, der Nachkriegskinder, deren Mütter Kriegskinder waren. Wann wurden die letzten Nachkriegskinder geboren? Um 1980 herum - dann "nur" noch mit Kriegkindvätern? Zurück zum Thema. Derzeit lese ich das Buch "Seelische Trümer" von Bettina Alberti. Der Untertitel erzählt zwar: "Geboren in den 50er- und 60er-Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas" - dennoch ich gehöre zu diesen Kindern. Ich weiß noch nicht was das für mich bedeutet. Spüre nur es ist wichtig. Es hilft meine Biografie zu verstehen. Es hilft zu verstehen, wie es soweit kommen konnte, dass meine Mutter, dass mein Vater, dass mein Stiefvater, dass manche Lehrer, manche Eltern von Schulfreunden, manche Menschen in helfenden Berufen, manche Ärzte und Ärztinnen, etc. pp. getan haben oder nicht getan haben, was sie tun oder nicht tun - heute. Es hilft mir (mich) zu verstehen. Zu verstehen, wieso meine Lebendigkeit oft so unerwünscht war und manchmal heute noch ist. Zu verstehen, warum Wissbegierige öfter mal als Bedrohung wahrgenommen wurden und noch werden (aller anderslautenden Beteuerungen zum Trotz). Zu verstehen, wie manche Menschen so sehr zu Extremen neigen oder sie "nur" einfach wechseln. Das und noch viel mehr. Ich bin gespannt, wo mich das hinführt. Der Weg fühlt sich für mich richtig und wichtig an. Hoffentlich überfordere ich mich nicht wieder. Dadurch, dass ich zu schnell (zu viel auf einmal) verstehen will. Auch das gehört dazu: Eigene Grenzen nicht immer spüren oder sie ignorieren. So haben sie es mir vorgelebt.
Ging mir so mit "Kriegsenkel" von Sabine Bode. Das war mein Versuch, meine Eltern und mich selbst zu verstehen und gelang, aber nur zum Teil.
Es gibt in der Tat einen Punkt, an dem man solche Streifzüge für eine Weile aussetzen muss - vielleicht auch, um zu begreifen, dass man mehr ist als das Ergebnis elterlichen Erbes, auch wenn man letzteres schwer ignorieren kann. Ab und an ist es wichtig, sich wieder in der Gegenwart zu verankern. Dennoch werde ich sicher mal wieder hier hereinlesen, um zu sehen, ob Sie zu ähnlichen Schlüssen gelangten und ähnliche Gefühle fühlten wie ich. Alles Gute für die (Zeit-)Reise.
Danke für Ihre lieben Wünsche. *freu* In der Gegenwart verankern. Ja. Das finde ich wichtig. Die schönen Dinge des Lebens suchen, sehen, dankbar sein für "selbstverständliche" Kleinigkeiten. Gibt Kraft und Mut. Und ja zum Glück sind wir mehr als das Ergebnis des elterlichen Erbes. Ja. Aber um uns herum gab und gibt es viele Menschen, die immer noch an den Kriegsgeschehnissen und ihren Folgen knabbern. Richtig. Viel mehr, als man eigentlich so ahnt. Ich habe auch festgestellt, dass die Auswirkungen auf unsere Generation (ich bin Jahrgang 1976) reichlich unterschätzt werden, weil wir es ja eigentlich immer nur "gut hatten" und weder Hunger noch Krieg noch Vertreibung erlebten. Dass so etwas sich auch und vor allem seelisch niederschlägt, und besonders dann, wenn niemand drüber spricht, das fällt halt oft unter den Tisch. Allein schon die Maxime vieler Vertreter unserer Elterngeneration, "Ihr sollt es mal besser haben!", birgt Zündstoff ohne Ende.
Die Mitte zu finden zwischen genauem Hinsehen auf die eigene Vergangenheit und dem Verankern in der Gegenwart ist ein echter Balanceakt. Aber Sie balancieren nicht allein! *nick*
Schön zu wissen, nicht allein eine Seiltänzerin zu sein. :) Ich glaube es geht weniger darum immer in der "Mitte" zu sein - sondern darum ohne die Extreme zu berühren, hin und her zu schwanken. Oszillieren. Und sich dessen immer mal wieder bewusst zu werden. Hatten wir es wirklich gut? Ich glaube viele Nachkriegskinder haben "geschuftet" bis zum Umfallen, weil sie nicht von Erinnerungen heimgesucht werden wollten. (Daher u.a. auch das Vorurteil: "Wer so arbeitet wie wir, wird auch was. Und wer nichts wird hat nicht genug gearbeitet. Sich nicht genug angestrengt.") Mein Schwiegermutter - auch Kriegskind - wundert sich oft über die Zerstörungswut von Jugendlichen. Die, die sich an Parkbänken vergreifen. Oder die, die Graffiti sprayen. Zum Beispiel. Meine Erklärung: "Nichts Materielles kann Dir Zuwendung, Interessen, Trost und Liebe ersetzen. Das reicht schon um sich ausgegrenzt zu fühlen. Um aggressiv zu werden. Doch kommen materielle und emotionale Entbehrungen heute zusammen und das teilweise ohne Not - dann passiert eben so was. Ich hoffe nur, dass diese Beschädigungen nicht noch aggressiver machen und sich gegen Menschen richten werden." Damit kann sie nichts anfangen. Langsam verstehe ich warum. Mir kommt die Gänsehaut. Zum ersten Mal lese ich anderswo die vollkommen begründete Frage "Hatten wir es wirklich gut?" Meine Erfahrung ist, dass man als Angehöriger unserer Generation diese Frage nicht stellen darf, so man nicht als undankbares, verzogenes Kind dastehen will.
Aber der Schwerpunkt, den unsere Eltern auf das Materielle legen (was sogar nachvollziehbar sein mag angesichts ihrer eigenen Entbehrungen), bringt, genau wie Sie treffend schildern, manchmal einen Mangel an Zuwendung mit sich. Meine eigene Mutter ist so aufs Materielle fixiert, dass sie allem, was Sie an Wohlstand und Komfort durch die Ehe mit meinem Vater gewonnen hat, unser Wohl und die Beziehung zu uns Kindern geopfert hat. In vielen Situationen, in denen wir ihre Solidarität und Liebe gebraucht hätten, zog sie es vor, nichts zu sagen, um ihren Status und Wohlstand nicht zu gefährden. Sie hat sich - so hat sie es mir einmal erzählt - geschworen, niemals arm zu sein. Diesen Schwur hat sie nie gebrochen, aber nach dem Preis, den sie und andere dafür zahlen, hat sie nicht gefragt. Das, was unsere Eltern und Großeltern erlebt haben, hat sie hart gemacht. Das geschah sicher nicht ohne Grund, und es war seinerzeit nützlich. Aber auch, wenn es nicht rückgängig zu machen ist, muss es erlaubt sein, das Tabu darüber zu brechen und die Leiden zu dokumentieren, die das nach sich zog. Auch hinter dem Verhalten der Jugendlichen, das Sie schildern, steckt ein tiefes, schmerzhaftes Leiden. Das Motto "Haste was, dann biste was!", das unsere Großeltern und Eltern so hoch hielten, hat sich verkehrt in "Haste nix, dann biste nix!" Darunter muss eine Seele leiden, und eine junge ganz besonders. Oszillieren, ja. Denn ich glaube, niemand kann sich immer in der Mitte halten, selbst, wenn er es wollte. Das Leben ist anders. Es bleibt uns, die Höhen und Tiefen zu akzeptieren, denn sie gehören zum Leben, und es geht uns schlechter, wenn wir sie ausblenden. In einem Frauen-Ratgeber aus dem Nachlass meiner Großmutter (Erstauflage 1955) las ich mal: Selbstbeherrschung in allen Situationen erleichtert den Umgang mit Menschen, während Gefühlsausbrüche oft mißverstanden werden. (...) Kein Mensch ist so glücklich oder unglücklich, wie er sich zeitweise einbildet. (...) Durch ständiges Jammern oder Klagen fällt man anderen Menschen nur auf die Nerven, während ein freundliches Lächeln, auch wenn man es sich abgerungen hat, oft Sympathien erweckt. Ich finde das sehr vielsagend. Weder über Not noch über Glück wurde gesprochen, man verstellte sich, und man brachte auch uns bei, uns zu verstellen. Zugunsten der Harmonie, des lieben Friedens, des reibungslosen Funktionierens. Daraus resultiert dann, dass man lernt, es zählt Haben statt Sein, es zählt das Morgen, aber nicht das Gestern und schon gar nicht das Heute, es zählt Leistung und nicht Persönlichkeit. So zumindest habe ich es erlebt. Aber ich glaube, vor allem auch nach der Lektüre des Bode-Buches, damit bin ich nicht allein. Problematisch ist es, dass das so schwer greifbar ist. Oder um es mit den Worten meines Vaters zu sagen: "Sind doch bloß Gefühle!" Die versprochene Antwort.
Danke für diesen wunderbaren ...
... Austausch, liebe sturmfrau. *freu* Nicht jeder in unserer Gesellschaft lebt nach dem diesem Motto. Es gibt die, denen Status herzlich egal ist. Es ist ja ein Trugschluss, durch etwas Materielles etwas zu werden. Aber wer nie - wenigstens etwas mehr als das Existenzminimum hat - wird diese Erfahrung auch am eigenen Laib machen können. Ich glaube da werden manchmal Träume verkauft im Wissen, dass sie für immer Träume bleiben werden. Auch sind Menschen nicht so dumm sich für immer und alle Zeit für dumm verkaufen zu lassen. Darin liegt viel Hoffnung, wie ich finde. Ihre Geschichte treibt mir die Tränen in die Augen, liebe Sturmfrau. Fühlen Sie sich lieb umarmt, falls Sie möchten. Und nein, Sie sind nicht allein! Leider wird zu wenig darüber gesprochen. Noch immer. Aber die Bücher von Sabine Bode, Bettina Alberti, Anne-Ev Ustorv zeigen, dass sich langsam etwas ändert. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ein Teil von mir ist so fassungslos, so wütend darüber die ganze Zeit nicht allein gewesen zu sein mit diesen Erfahrungen - aber nichts davon zu wissen. Höchstens eine intuitive Ahnung zu haben, die oft für "verrückt" erklärt wurde. Von einem Selbst, von Anderen. Sabine Bode schreibt in ihrem Buch "Die vergessene Generation" (Seite 14/15) ihre Konfusion als sie begann Kriegskinder zu interviewen. Von ihrer körperlichen Erschöpfung hinterher. Der drückenden Stimmung. Der Zweifel an den eigenen Wahrnehmungen. In einer solchen Umgebung wird es ggf. sehr schwer mit dem Fühlen. Dabei ist Fühlen so wichtig. Aha-Effekte wie die Ihren hatte ich auch so manche, und mehr und mehr wird mir klar, dass allen Veränderungen in der Pädagogik zum Trotz viel Härte und Schmerz durch die Generationen weitergereicht wurde.
Was mir immer aufs neue den Magen verkrampft ist dieses Nicht-Merken-Sollen im Millerschen Sinne. Auch wir als Kriegsenkel sollen ja nicht merken, dass es falsch lief. Mir wurde bewusst, dass ich mit meinem eigenen Merken eine Kettenreaktion auslösen könnte, die auch meine Eltern schließlich dazu zwingen würde, sich mit dem Unrecht, das sie selbst erlitten, auseinanderzusetzen. Das eine ist vom anderen nicht ablösbar. Meine Eltern jedoch weigern sich bislang. Nun ist es nur nicht meine Aufgabe, sie zum Merken zu bewegen. Wichtig ist für mich nur, mich nicht mehr zurückziehen zu lassen in den Zustand von Ohnmacht, Fremdbestimmung und Leugnung. Heute weiß ich für mich, dass ich es eben nicht gut hatte. Dass es nicht zutrifft, wenn meine Mutter banalisiert "So oft wurdet Ihr aber nicht geschlagen!", so lange ich zusammenzucke, wenn sich eine Hand meinem Gesicht nähert. Sie haben vollkommen Recht, Fühlen ist so wichtig. Es ist ein Versprechen an uns selbst, das wir uns geben sollten: Nicht wieder wegfühlen! Und liebevolle Hilfe, die nötige Wärme und den Rückhalt in solchen Lebenslagen von denjenigen Menschen anzunehmen, die sie uns geben möchten. In diesem Sinne nehme ich Ihre Umarmung gern an und umarme zurück, wenn Sie möchten. Nie wieder wegfühlen ...
... wäre vielleicht kein hilfreicher Wunsch. Aber nie wieder, wenn nicht notwendig. Wie wäre es damit? Verbindung mit anderen Menschen versus Autonomie/Persönliches Wachsen: Wir sind und bleiben abhängig von anderen Menschen. Ob wir nun wollen oder nicht. Aber wir sind dennoch nicht so abhängig in mancherlei Hinsicht - wie wir glauben. Das sagt sich so leicht und ist doch immer wieder schwerer zu Üben - in die Tat umzusetzen - einfach daran zu denken. Darum geht es wohl: Fühlen wie, wann und wo man Verbindung braucht und fühlen wie, wann und wo man Autonomie braucht. Dann fällt es leichter mit dem Grenzen setzen. Sofern die (oft selbst gewählte) Umgebung auch "mitspielt" ... Ich knuddel Sie mal lieb zurück. |