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Überwiegend heiter bis wolkig |
20
April
Wie lange ist
Es scheint alles so weit weg und gleichzeitig so als sei es erst gestern geschehen. Beides trifft in eigenartiger Weise zu. Ich fühle. Ich spüre. Doch nicht mehr mittendrin. Abstand. Ein paar Schritte nur und doch genug um nicht mehr überrollt zu werden. Irgendwann 2001 oder war es 2002? Ich entschloss mich den Kontakt zu meiner Mutter abzubrechen. Mir war klar geworden, dass es mir immer ein paar Tage wirklich dreckig ging, wenn ich sie besuchte. Mir wurde klar, dass sie mich oft nicht fragte - wie es mir geht. Und wenn sie es tat, wollte sie die Antwort nicht hören. Setzte ich mich auch intensiv mit der Frage auseinander: "Was wenn sie stirbt? Kann ich das aushalten? Kann ich mir mein Verhalten dann verzeihen?" Was ich damals noch nicht wusste war, dass ich begann zu trauern. Es ging mir besser. Wurde nicht mehr in die Abgründe gezogen. Verwirrung machte sich breit. Verwunderung. Mir fehlte nichts. Sollte ich etwa gar keine Bindung mehr fühlen? Gab es diese Bindung überhaupt? War sie da und könnte sie nur nicht spüren? Der Schock saß tief, denn es blieb einfach ein Nichts. Mir fehlt der Kontakt nicht. Es traf mich ins Mark: Meine Mutter wollte, aber sie konnte nicht lieben. Sie war traumatisiert. Lebte mehr in der Vergangenheit oder einer (beängstigten) Zukunftsvision. Doch in allem kam ich nicht vor. Mein Bruder - mit dem ich nicht zusammen aufwuchs - auch nicht. Nicht einmal sie selbst kam dadrin vor. Mein Mann nennt mich manchmal halb im Scherz, halb im Ernst "Therapeutin". Ja - so eine Ader habe ich. Doch es war eigentlich etwas anderes: Ich war Mutter. Die Mutter, die meine Mutter nie hatte. Doch dafür war ich zu jung. Ein Baby, ein Kleinkind, ein Kind, eine Jugendliche, eine junge Erwachsene, eine ältere Erwachsene, etc. Ein Kind kann nie seiner Mutter Muter sein. Und doch ich habe es versucht. Wirklich. Die Verbindung war einseitig. Ich suchte sie. Gefunden habe ich mich darin nicht. Nur Nebel. Nur Verwirrung. Nur Verstrickung. Einmal versuchte es noch mit dem Kontakt. Ein Desaster. Ich traf den Entschluss der Abnabelung ein zweites Mal und blieb dabei.
Das ist ein Abschied. Der Abschied von der Mutter, die wir gern gehabt hätten. Ich habe diese Zeit des Trauerns auch erlebt, und es war (und ist manchmal immer noch) nicht einfach.
Zugleich habe ich genau wie Sie auch festgestellt, dass es mir ohne die Menschen, die meine Eltern tatsächlich sind, viel besser ging. Endlich spielt man keine Rolle mehr, die man eigentlich nicht ausfüllen kann und möchte. Auch ich war für meine Mutter Mutter, Kummerkastentante und Ratgeberin, war ungewollt Vertraute, erfuhr Details, die ich nicht wissen wollte und wurde mit der Lösung von Problemen und der Erfüllung von Bedürfnissen beauftragt (meist implizit und nonverbal), während die meinen absolut nachrangig bis nicht existent waren. Das ist, als sei man schon als Waise auf die Welt gekommen, und so habe ich mich auch oft gefühlt. In der Folge kann auch das Aufgeben eines Kontakts, der einem nur Schmerzen bereitet, nichts weiter mit sich bringen als Erlösung. Wie gesagt, die Trauer bezieht sich auf ein Ideal und darauf, wirkliche Eltern niemals gehabt zu haben. Das Problem der Eltern ist ein narzisstisches. Das eigene Ich ist so wackelig und bedürftig, dass es permanent der Stabilisierung durch andere bedarf. Da eignen sich Kinder ganz besonders gut, weil sie nicht fortlaufen und sich dagegen nicht wehren können, das auch genau spüren und sich bis zur absoluten Selbstaufgabe verbiegen, um den Eltern gerecht zu werden, weil diese ihre einzige Existenzsicherung und -rechtfertigung darstellen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis macht es ganz besonders schwierig, allein das Erkennen, aber auch das Loslassen. Meine Mutter hat die Angewohnheit, mich zu fragen: "Aber Du weißt doch, dass ich Dich lieb habe, oder?" Darin steckt so viel. Allein zu sagen "Ich habe Dich lieb!" reicht nicht, denn das wäre eine an den anderen gerichtete, an ihm orientierte Botschaft ohne die Notwendigkeit des Rückspiegelns. Was sie aber nötig hatte war die Bestätigung ihres Selbstbildes als liebende, liebevolle Mutter und die Gewissheit, dass genau dieses Bild, diese Botschaft auch auf dem Schirm des anderen ankommt. Das indes hat mit Liebe wirklich wenig zu tun. Nicht einmal mit Selbstliebe. Es ist Bedürftigkeit pur, steckengeblieben in einem kindlichen Stadium, in dem die Perspektive nicht über das eigene Befinden hinausgeht. Das beschreiben Sie gut.
Es ist ähnlich und teilweise wieder nicht. Danke dafür! Das tut mir gut. Sehr gut sogar.
Ich hoffe sehr, ich überrolle Sie nicht mit meinen Gedanken hierzu. Ich weiß natürlich, dass längst nicht alles, was ich selbst erlebe, deckungsgleich mit Ihren Erfahrungen ist, und ich möchte nicht anmaßend erscheinen, indem ich verallgemeinere.
Dennoch ist die Erfahrung, ähnliche Erlebnisse wie andere Menschen zu haben und auch zu ähnlichen Schlüssen zu kommen, auch für mich eine Wohltat nach der jahrzehntelangen Annahme, man selbst "ticke irgendwie nicht richtig". Es freut mich zu lesen, dass es Ihnen genau so geht. Ich sehe da keine Anmaßung.
Und fühle auch auch keine. Und nein - ich fühle mich nicht überrollt. Nicht von Ihnen. Nur von einer mächtigen Erkältung, die mir das lange Wochenende etwas vermiest hat. *gg* *hust* *nies* Ich staune immer wieder wie deckungsgleich und gleichzeitig auch unterschiedlich Erfahrungen sein können. Wie entgegengesetzte Erfahrungen zu ähnlichen Folgen führen können. Etc. pp. Das macht das Leben und vor allem Menschen so spannend. Die Vorstellung aus dem Buddhismus "Dieses ist, weil jendes ist." ist für mich immer wieder hilfreich. Dieser Satz ist so einfach und doch so komplex. Eben wie das Leben selbst. Schön, dass es Sie gibt liebe Sturmfrau. |